Anforderungen an Bergbahnen vs. Eigenverantwortung
Seit Beginn der Skisaison im November 2022 sind, bis zum 04.01.2023, allein in Österreich 13 Menschen bei Skiunfällen tödlich verunglückt, zusätzlich zu den 505 Menschen, die in diesem Zeitraum verletzt wurden.
Zunächst einmal ist die Anzahl der tödlichen Unfälle in der Tat hoch; allerdings lag sie auch in den vergangenen Jahren im Vergleichszeitraum bei etwa der Hälfte, hiervon ausgenommen freilich die Zeit zwischen der Wintersaison 2019/2020 und 2021/2022, da diese auf Grund der Corona-Zeit nicht repräsentativ sind.
Im Winter 2013/2014 sind im gleichen Zeitraum sogar 14 Menschen ums Leben gekommen, was freilich die Tragik der einzelnen Schicksale nicht mindert.
Positiv darf aber immerhin gesehen werden, dass im bisherigen Winter die Zahl der in Österreich verletzen Wintersportler deutlich geringer ist als im Zeitraum vor der Corona-Krise und bei etwa der Hälfte bzw. einem Drittel der Unfälle liegt (217 gegenüber 387 in 2019/2020 und 413 in 2016/2017; in den Jahren dazwischen lag sie etwa bei 300 Personen).
Auch wenn die Zahl an Todesopfern natürlich immer zu hoch ist, scheint die Zahl der lediglich Verletzten doch einen Hoffnungsschimmer zuzulassen, vor allem angesichts der schieren Masse an Wintersportlern pro Pistenkilometer. Denn auf Grund der extremen Wetterverhältnisse ziehen sich zumindest unterhalb von 2000 Höhenmetern meist nur schmale weiße Bänder die Bergwiesen hinab, welche naturgemäß mit sehr viel mehr Menschen „besetzt“ sind als in den Wintern zuvor.
Angesichts dieser Menschenmassen auf den Pisten scheint die Zahl der Verunfallten offenbar gar nicht so hoch zu sein. Das ist auch der Fall, allerdings muss man auch die Umstände der einzelnen Unfälle näher betrachten: So sind etwa fünf der dreizehn Todesopfer an Herz-Kreislauf-Versagen verstorben und waren sämtlich über 50 Jahre alt. Ohne den Zusammenhang mit dem Wintersport zu leugnen, können diese nicht als „klassische“ Skiunfall-Opfer gesehen werden, da dies theoretisch bei jeder Art von körperlicher Überanstrengung passieren kann, also etwa auch beim Joggen oder Radfahren.
Bei den beiden Jugendlichen, die am 28.12. auf der Steinplatte ums Leben kamen, scheint überhöhte Geschwindigkeit im Zusammenhang mit der sehr schlechten Schneesituation die Ursache für den tödlichen Ausgang gewesen zu sein: Beide kamen von der Piste ab und stürzten in das kaum von Schnee bedeckte Gelände jenseits der Piste, in welchem der Aufprall auf Steinen, Wurzeln und Erde natürlich wesentlich verletzungsträchtiger ist als auf verhältnismäßig weichem Schnee.
Die holländische Skifahrerin, die am Neujahrstag auf dem Tuxer Gletscher tödlich verunfallte, war auf einem stark vereisten Steilstück gestürzt, konnte sich nicht mehr halten, rutschte unter einem Fangzaun hindurch und wurde gegen einen Baum geschleudert. Auch der belgische Skifahrer, der am 29.12. am Arlberg zu Tode kam, verlor die Kontrolle über seine Ski, kam von der Piste ab und prallte dort gegen einen Baum.
Allen diesen Unfällen ist gemein, dass sie sich von der „klassischen“ Kollision auf der Piste, sei es mit einem anderen Wintersportler oder einem Hindernis (Liftpfeiler, Hütte, etc.) unterscheiden, und zwar dadurch, dass in jedem Fall die Schneelage bzw. die ebenfalls durch die Schneelage bedingte Kunstschnee-Auflage auch unfallskausal waren. Im Gegensatz zu natürlichem Schnee ist Kunstschnee wegen der Form der von den Schneekanonen produzierten Kristallen (rund statt sechseckig) erheblich härter und macht die Pisten deshalb nicht nur schneller sondern auch schwerer zu befahren: Ohne kräftiges Aufkanten geht gerade auf Steilstücken nichts. Und hier liegt ein Teil des Problems: Wie bereits seit langem von allen möglichen Fachleuten immer wieder beklagt, hat das fahrerische Können, also die für das sichere Befahren hochalpiner Pisten unerlässliche Fähigkeiten, im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eher ab- als zugenommen.
Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von der Skitechnik – selbst ein völliger Sport-Banause erlernt mit modernen Carvern innerhalb von zwei bis drei Tagen das Befahren von Pisten halbwegs und kann auf diesen Brettern schnell hohe Geschwindigkeiten erreichen, ohne die hierfür nötige Expertise und Erfahrung zu besitzen – über die „Ballermannisierung“ vieler Gebiete bis hin zu dem allgemein-gesellschaftlichen Problem der Vollkasko-Mentalität.
Auch wenn letzterer Begriff arg strapaziert wurde, ist kaum von der Hand zu weisen, dass sich heute eine große Anzahl von Menschen in hochalpine Regionen begeben, die potentielle Gefahren oft maßlos unterschätzen. Denn der schiere Aufenthalt dort bedeutet schon ohne jede körperliche Aktivität eine erhöhte Belastung für den Körper. Hinzu kommt, dass sich viele auf die Extrem-Belastung nicht nur nicht vorbereiten sondern – gerade bei alpenfernem Wohnort – nur eine Woche im Jahr überhaupt Skifahren gehen – dies dann aber mit umso mehr Ehrgeiz und körperlicher Überforderung.
Wenn dann noch eine generell schlechte Technik hinzukommt, was heutzutage für sehr viele Skifahrer gilt, ist es eigentlich verwunderlich, dass die Anzahl schwerer oder tödlicher Unfälle nicht noch viel höher ist. Bestätigt wird dies etwa durch den Präsidenten des österreichischen Kuratoriums für alpine Sicherheit (ÖKAS), der dies mit dem plastischen Vergleich, wonach „der beste Formel-1-Bolide nichts nütze, wenn der Pilot schlecht ist“, umschrieb.
Auf der anderen Seite könnten die Skigebiets-Betreiber angesichts der langfristig sich wohl nicht mehr verbessernden Schnee-Verhältnisse sich schon fragen, wie man auf die immer größere Masse an Wintersportlern pro Pisten-Fläche reagiert.
Die schärfste Maßnahme, die Pistensperrung, wird von fast allen Beteiligten, also dem ÖKAS, den Skigebiets-Betreibern, aber auch sonstigen Akteuren wie Ski- und Skischul-Verband, als ultima ratio abgelehnt. Bisher kam dies nur in den sehr seltenen Fällen vor, in denen ein Skigebiets-Betreiber auf Grund extremer Gefahren wie etwa Lawinen seiner Verkehrssicherungspflicht nicht mehr anders nachkommen konnte. Die Verkehrssicherungspflicht als „Generalnorm“ für fast alle Haftungsgrundlagen einer Bergbahn, könnte aber auch durch andere, mildere Maßnahmen, wie einer Begrenzung der Anzahl an Wintersportlern erfüllt werden.
In der Schweiz etwa wurde schon seit der Saison 2017/2018 in einigen Skigebieten wie Zermatt, St. Moritz oder Laax ein sog. Dynamic Pricing eingeführt. Mit den Preisen für Lifttickets, die etwa unter der Woche, bei bestimmten Wetterbedingungen oder in der Neben-Saison deutlich günstiger sind als Karten, die am Wochenende, zur Hauptsaison und erst morgens an der Kasse erworben werden, konnte so eine gewisse Steuerung der Anzahl gleichzeitiger Pistennutzer erreicht werden.
Auch eine zahlenmäßige Begrenzung bei der Ausgabe der Karten wäre denkbar, um etwa die Überlastung der Pisten und die dadurch entstehende Gefahr für die Wintersportler zu vermeiden.
So ist es etwa bei der Bayerischen Zugspitzbahn seit längerem üblich, die Anzahl der an einem Tag ausgegebenen Tickets zu begrenzen. Dies passiert natürlich nur, wenn extremer Andrang herrscht und liegt in erster Linie darin begründet, dass die Wintersportler hier – im Gegensatz zu den allermeisten hochalpinen Skigebieten – keine Talabfahrt finden, auf der sie nach unten gelangen könnten. So muss jeder einzelne Ticketinhaber am Ende des Tages wieder mit der Seilbahn ins Tal transportiert werden, was logistisch nicht anders zu handhaben ist als eben durch die Ticket-Begrenzung.
Aber das Beispiel zeigt eben, dass dies grundsätzlich möglich und umsetzbar ist.
In jedem Fall kommt die gesamte Wintersport-Branche nicht umhin, sich über diese Themen Gedanken zu machen und mögliche Lösungen zumindest zu diskutieren.
Eine andere Frage ist freilich, inwieweit bei extremen Wetter-Verhältnissen wie derzeit der Skigebiets-Betreiber im Falle eines Unfalls wegen einer überfüllten Piste in (Mit-)Haftung genommen werden kann oder ob die verunfallten Wintersportler wegen Eigen-Überschätzung, mangelnder Fitness oder anderen „hausgemachten“ Gründen für den Unfall selber verantwortlich sind.
Es sollte halt bei jedem einzelnen Skiunfall genau hingesehen werden.
Pauschale Verurteilungen und Schuldzuweisungen helfen letztlich niemandem.